Physiknobelpreis 1938: Enrico Fermi

Physiknobelpreis 1938: Enrico Fermi
Physiknobelpreis 1938: Enrico Fermi
 
Der Italiener wurde für die Bestimmung von neuen radioaktiven Elementen und für die Entdeckung der durch Neutronen ausgelösten Kernreaktionen ausgezeichnet.
 
 
Enrico Fermi, * Rom 29. 9. 1901, ✝ Chicago 28. 11. 1954; 1924-26 Professor für mathematische und mechanische Physik in Florenz, 1927-38 Professor für theoretische Physik in Rom, 1938 Auswanderung in die USA, 1939-40 Professor für Physik in New York, 1942 erste erfolgreiche Kettenreaktion in Chicago, 1942-45 Arbeit in Los Alamos, 1945-54 Professur am Institut für Kernforschung in Chicago.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Fermis akademische Laufbahn war geprägt von einem breiten Spektrum wissenschaftlichen Forschens. Die Quantenmechanik interessierte den Italiener ebenso sehr wie die Thermodynamik. Seine Arbeit über die Quantisierung eines idealen einatomigen Gases schlug eine Brücke zwischen beiden Gebieten. Gestützt auf Wolfgang Paulis Arbeiten (Nobelpreis 1945) entwickelte er 1926 die statistischen Gesetze, denen die dem Paulischen Ausschließungsprinzip gehorchenden Teilchen unterliegen. Fermis Freunden erschien die von ihm begeistert gepredigte Quantenmechanik eher eine Glaubens- als eine Verständnisfrage zu sein, und sie gaben ihm den Spitznamen, der ihm Zeit seines Lebens anhängen sollte: Fermi, der Papst. Nach einigen Arbeiten zur Elektrodynamik und den theoretischen Untersuchungen spektroskopischer Phänomene wandte sich Fermi 1934 schließlich dem Atomkern zu. Indem er frühere Veröffentlichungen zur Strahlungstheorie mit Paulis Hypothese eines elektrisch neutralen Teilchens verband, entwickelte er die Theorie zum Beta-Zerfall. Das fragliche neue Teilchen taufte der Italiener auf den Namen Neutrino.
 
 Vom Neutrino zum Neutron
 
In Rom führte er am Lehrstuhl für theoretische Physik Experimente zum Nachweis künstlicher Radioaktivität durch. Dazu beschoss er die zur Strahlung anzuregenden Substanzen mit Neutronen, die er aus Berylliumpulver und Radon erzeugte. Gemeinsam mit seinen Kollegen gelang ihm der ewige Traum der Alchemie: die Umwandlung chemischer Elemente. Nach einem Gang durch das gesamte bekannte Periodensystem der Elemente wurde die Mehrzahl der getesteten Substanzen unter Neutronenbeschuss radioaktiv. Die Radioaktivität einiger Elemente übertraf sogar die von Radium, da die Halbwertszeiten der künstlich erzeugten Isotope in der Regel recht kurz waren.
 
Fermi erklärte das Zustandekommen der Radioaktivität mit drei Arten von Reaktionen, die auf das Einfangen des eingestrahlten Neutrons durch den jeweiligen Atomkern folgten. Bei zweien wandelte sich das Element in eines mit niedrigerer Ordnungszahl um und emittierte einen Helium- oder einen Wasserstoffkern. Im dritten Fall, der überwiegend bei schweren Elementen auftrat, erhielt man ein Isotop des Ausgangselements. Zum Teil konnte man jede der drei Reaktionen an einem Element beobachten. Da die Reaktionsprodukte zu einem Großteil instabil waren, zerfielen die Kerne relativ schnell unter Aussendung von Alpha-, Beta- oder Gammastrahlung.
 
Fermi und seine Kollegen stellten eine Reihe von Besonderheiten fest. Durchliefen die Neutronen vor dem Beschuss eine Substanz mit hoher Wasserstoffkonzentration — beispielsweise Wasser —, so stieg die Intensität der Radioaktivität beträchtlich an. Fermis Erklärung dafür beruhte auf der Geschwindigkeit der Neutronen, die durch die elastischen Stöße mit den Protonen des Wasserstoffs einen Teil ihrer kinetischen Energie verloren und abgebremst wurden. Langsame Neutronen wurden aber leichter von den Atomkernen eingefangen und sorgten damit für eine stärkere Radioaktivität. Für jedes Element existiert eine spezifische optimale Neutronengeschwindigkeit für die Absorption. Fermi vermutete weiter eine Abhängigkeit der Radioaktivität von der Temperatur einer wasserstoffhaltigen Umgebung. Zudem glaubte er, bei dem Beschuss von Uran auf jenseits dessen im Periodensystem angeordnete Elemente gestoßen zu sein. Tatsächlich jedoch hatte Fermi, ohne es zu wissen, als erster die Kernspaltung an schweren Kernen vollzogen. Insgesamt gelang es Fermis Team, mehr als 400 neue radioaktive Substanzen herzustellen.
 
 Die Geburt der Kernkraft
 
Um dem Faschismus zu entgehen, wanderte Fermi mit seiner jüdischen Frau und den beiden Kindern nach der Preisverleihung nach New York aus. Dort nahm er seine Arbeiten zu den Neutronen wieder auf. Nach der ersten erfolgreichen Kernspaltung durch Otto Hahn (Chemienobelpreis 1944) und Fritz Strassmann kam er wie andere Wissenschaftler zu dem Schluss, dass bei der Spaltung von Urankernen mit einer gewaltigen Menge frei werdender Energie zu rechnen war. Und er postulierte eine Emission von Neutronen als Nebenprodukt der Kernspaltung, die weitere Urankerne spalten und somit eine Kettenreaktion auslösen könnten.
 
Zwischenzeitlich hatte die amerikanische Regierung in Anbetracht der Entwicklungen in Europa die Erforschung möglicher Nutzungen von Kernenergien forciert. Die Fermis siedelten nach Chicago über, wo ein streng geheimes Forschungsprojekt aufgebaut worden war. Unter Fermis Leitung entstand in einer Squashhalle der erste Atomreaktor. Meterhohe Graphitschichten dienten zum Abbremsen der Neutronen und einfügbare, Neutronen absorbierende Cadmiumstäbe sorgten für eine Kontrollierbarkeit der Reaktionen. Am 2. Dezember 1942 schließlich fand die erste kontrollierte nukleare Kettenreaktion statt.
 
 Der Vater der Atombombe
 
Der nächste Schritt galt mit dem Manhattan-Projekt der Entwicklung der Atombombe. Gemeinsam mit anderen bedeutenden Physikern zog sich Fermi im Sommer 1944 unter dem Decknamen Farmer in die Abgeschiedenheit des in der Wüste liegenden Los Alamos zurück. Dort arbeitete man fieberhaft daran, die entdeckte Kernkraft waffentechnisch nutzbar zu machen. Fermi selbst war Leiter der Abteilung F — für Fermi —, deren Aufgabe es war, anfallende außergewöhnliche Aufgaben zu lösen. Am 16. Juli 1945 war Fermi dann Zeuge der Unternehmung »Trinity«, der Zündung der ersten Atombombe in der Wüste von New Mexico. Nur drei Wochen später fielen die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki. Obgleich Fermi die Opfer der Zerstörung betrauerte, erschien ihm der Abbruch des Projekts sinnlos, da die Weiterentwicklung der Wissenschaft seiner Meinung nach nicht aufzuhalten gewesen wäre. Und die Atombombe sah er lieber in den Händen der Amerikaner.
 
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs galt Fermis neues wissenschaftliches Interesse hochenergetischen Teilchen. Mit Ungeduld erwartete er den Bau eines institutseigenen Teilchenbeschleunigers. Er träumte sogar von einem auf dem Äquator gebauten, den Globus umspannenden Beschleuniger. In seinen letzten Lebensjahren erhielt Fermi eine Vielzahl von Auszeichnungen und Preisen. Auf die Ankunft extraterrestrischer Lebensformen wartete der Außerirdischenanhänger jedoch vergebens.
 
C. Hein

Universal-Lexikon. 2012.

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